Wissenschaft, Partnerschaft, Elternschaft. Massnahmen für Doppelkarrierepaare an der Universität St Gallen

Eine Untersuchung von Dr. Ulle Jäger im Auftrag der Fachstelle Gleichstellung der Universität St Gallen (unter Mitarbeit von Fleur Weibel).
Laufzeit: September 2009 bis Juni 2010

Unter „dual career couples“, kurz: DCCs, versteht man Paare, in denen beide PartnerInnen als hoch qualifzierte Arbeitskräfte ihre berufliche Laufbahn gleich wichtig nehmen. Beide haben hohe berufliche Ambitionen und beide sind nicht bereit, dafür Beziehung und Familie hintanzustellen. Arbeiten in der Wissenschaft stellt Frauen und Männer in DCCs vor besondere Herausforderungen: Mobilität, Internationalität und uneingeschränkte zeitliche Verfügbarkeit sind für DCCs ungleich schwerer zu erfüllen. Die Doppelbelastung Beruf und Familie wird zum Thema, auch für Männer. Im Rahmen des Bundesprogramms Chancengleichheit hat die Fachstelle Gleichstellung eine Untersuchung zu Doppelkarrierepaaren an der Universität St Gallen in Auftrag gegeben. Zu den wichtigsten Ergebnissen der Untersuchung gehört, dass gegenwärtig mehr als die Hälfte der befragten WissenschaftlerInnen als Doppelkarrierepaar leben (PartnerIn Vollzeit erwerbstätig, beide Karrieren gleichwertig). Davon ausgehend wird deshalb empfohlen, eine Kultur des offenen Umgangs mit Fragen von Partnerschaft und Elternschaft zu etablieren. Dabei gilt es, auch ältere Generationen für die besonderen Herausforderungen von egalitären Partnerschaftsmodellen zu sensibilisieren.

Ausführliche Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt

Am Beispiel der Universität St Gallen zeigt sich: Die Anzahl der Doppelkarrierepaare unter AkademikerInnen nimmt zu. Für die Schweiz liegen bislang keine genauen Zahlen vor, Schätzungen für den deutschsprachigen Raum gehen aber davon aus, dass der Anteil dieser egalitär ausgerichteten Partnerschaften unter AkademikerInnen mittlerweile ca. 80% beträgt, und folglich bei der Gestaltung des eigenen wissenschaftlichen Werdegangs auf die beruflichen Anforderungen des Partners Rücksicht genommen wird. Das stellt nicht nur die Paare vor neue Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch die Arbeitgeber sind gefragt, eine Kultur des offenen Umgangs mit Fragen der Partnerschaft und Elternschaft zu etablieren. Dazu gehört neben konkreten Massnahmen der Unterstützung vor allem die Anerkennung der Tatsache, dass Arbeitskräfte auch dann nicht zeitlich unbegrenzt zur Verfügung stehen, wenn sie Karriere machen wollen.

Berufs- und Geschlechterbilder geraten ins Wanken. Bisher galt: Hohe berufliche Anforderungen auf Führungspositionen werden von vielen Akademikern vor dem Hintergrund eines meist unbenannten geschlechtsspezifischen Arrangements erfüllt: Männer können den hohen (zeitlichen) Belastungen in Führungspositionen gerecht werden, weil ein bestimmtes geschlechtsspezifisches Arrangement sie dabei unterstützt. Denn viele Partnerinnen solcher Männer verzichten auf eine eigene Karriere, arbeiten gar nicht oder höchstens Teilzeit, und halten dem Partner durch ihre Zuständigkeit für Kinderbetreuung und Haushaltsführung den Rücken frei.

Dieses tradierte Modell war lange auch für das Berufsbild des Professors prägend. Aktuell gerät es allerdings ins Wanken. Zum einen durch die zunehmende Anzahl von Frauen in der Wissenschaft. Und zum anderen durch Doppelkarrierepaare, bei denen mindestens eine Person eine wissenschaftliche Laufbahn anstrebt. Frauen können nicht gleichermassen wie Männer darauf zählen, dass ihre Partner ihnen beruflich den Rücken frei halten. Das mag eine Erklärung dafür sein, dass sie zwar auf den unteren Stufen der akademischen Leiter (Studium, Doktorat) aufgeschlossen haben, auf der Ebene der Professuren jedoch mit weit weniger als einem Viertel immer noch unterrepräsentiert sind. In Doppelkarrierebeziehungen sind Frauen und Männer gleichermassen mit der Aufgabe konfrontiert, die eigene berufliche Laufbahn mit der des Partners oder der Partnerin unter einen Hut zu bringen. Besonders im Berufsfeld Wissenschaft mit seinen gestiegenen Anforderungen an Mobilität, Internationalität und Publikationsoutput ist das oft schwierig.

Im Rahmen des Bundesprogramms Chancengleichheit von Frau und Mann an Schweizer Universitäten (2000-2011) wird das Thema DCC seit 2009 aufgegriffen, um den Aufbau von Massnahmen für solche Paare an den Schweizer Universitäten zu unterstützen. An der Universität Basel läuft ein Pilotprojekt zur Förderung von Doppelkarriere-Paaren, das u.a. zur Jobsuche für PartnerInnen den Aufbau eines zentralen Stellenportals und Kooperationen mit anderen Hochschulen und regionalen Arbeitgebern anstrebt. An der Universität St Gallen wurde eine Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse von Massnahmen für DCCs durchgeführt. Hier zeichnen sich  neben einen hohen Bedarf seitens des wissenschaftlichen Nachwuchses an einem offenen Umgang mit dem Thema DCC vor allem geschlechtsspezifische Unterschiede und Unterschiede zwischen den Generationen ab, die auch auf andere akademische Berufsfelder zu übertragen sind.

Geschlechtsspezifische Unterschiede: Drei Viertel der Wissenschaftlerinnen leben in einer Doppelkarriere-Situation, während es bei den Wissenschaftlern die Hälfte ist. 65% der Wissenschaftler in Partnerschaft mit einer Nichtwissenschaftlerin haben gegenüber ihrer Partnerin beruflich Vorrang. Bei den Wissenschaftlerinnen in Partnerschaft mit einem Nichtwissenschaftler sind es dagegen lediglich 5%, die gegenüber ihrem Partner beruflich Vorrang geniessen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass Doppelkarrierekonstellationen bei Akademikerinnen häufiger anzutreffen sind als bei Akademikern.

Unterschiede zwischen den Generationen: Auf der Stufe der Professur überwiegt bei den Männern das tradierte Modell: Der Professor widmet sich Vollzeit seinem Beruf, seine Frau ist nicht berufstätig oder arbeitet Teilzeit und kümmert sich um Haushalt und Kinder. Drei Viertel der Wissenschaftler unter 45 sind dagegen auch für Hausarbeit zuständig. Ein Drittel der befragten Väter teilt sich die Kinderbetreuung zu gleichen Teilen mit der Partnerin. Für die jüngere Generation der Männer werden somit Karriere der Partnerin und Familiensituation zunehmend zum Thema der Gestaltung der eigenen Laufbahn.

Empfehlungen für zukünftige Massnahmen: Am Beispiel der Universität St Gallen wird deutlich, dass das Private bislang nur informell thematisiert wird. Und wenn es angesprochen wird, zum Beispiel bei Berufungsverfahren für Professuren, interessiert die Universität vor allem, ob es familiäre Gründe gibt, die den Umzug eines Professors/Professorin an den Standort der Universität verhindern. Verhandlungen über eventuelle Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche des Partners oder der Partnerin werden informell geführt. Ein Viertel der Befragten lebt mit PartnerInnen, die ebenfalls in der Wissenschaft tätig sind. Für diese Paare sind die aktuellen beruflichen Anforderungen an wissenschaftliche Laufbahnen (Internationalität, Mobilität) besonders dann schwer zu erfüllen, wenn sie Kinder haben. Doppelberufungen werden aber bislang nicht praktiziert, und Mittel zur Stellenbeschaffung für PartnerInnen, die ebenfalls in der Wissenschaft arbeiten, sind nicht vorhanden. Bei Anstellungen im Mittelbau wird das Private gar nicht berücksichtigt, denn der hohe Konkurrenzdruck auf dieser Qualifikationsstufe erweckt den Eindruck, das sei nicht nötig. Es gibt bislang auch keine offizielle Regelung dafür, wie im Falle einer Anstellung beider PartnerInnen an der Universität St Gallen deren Arbeitsbeziehungen zu regeln wären.

Insgesamt machen die Ergebnisse deutlich, dass es gilt, an Hochschulen eine Kultur des offenen Umgangs mit Fragen von Partnerschaft und Elternschaft zu etablieren und damit anzuerkennen, dass private Geschlechterarrangements sich auf berufliche Laufbahnen auswirken. Es wird in Zukunft für Einstellungsverfahren auch entscheidend sein, was man der Familie als Ganzes anbieten kann. Insbesondere ältere Generationen sollten für die besonderen Herausforderungen von egalitären Partnerschaftsmodellen sensibilisiert werden. Das gilt nicht nur für das Berufsfeld Wissenschaft. Auch in anderen Bereichen sind anspruchsvolle Tätigkeiten mit Führungsaufgaben schwieriger zu erfüllen, wenn man nicht auf die Unterstützung einer Person zählen kann, die auf die Erfüllung ihrer eigenen beruflichen Wünsche verzichtet. Das sind immer noch hauptsächlich Frauen. Aber die Anzahl von Vätern, die gerne in einer egalitären Partnerschaft leben und sich aktiv um ihre Kinder kümmern, steigt. Und das, wie aktuelle Studien zur Situation in der Schweiz zeigen, nicht nur in der Wissenschaft und nicht nur unter Akademikern.

Weitere Untersuchungen am Zentrum Gender Studies in diesem Bereich

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Studie zu familialen Geschlechterarrangements. Eine empirische Untersuchung zu Aushandlungsprozessen in Paarbeziehungen