In der familiensoziologischen Forschung besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass die Familie sich derzeit im Wandel befindet. Als markanteste Veränderung von Ehe und Familie gelten die steigenden Scheidungszahlen, der Rückgang von Eheschließungszahlen und der dramatische Geburtenrückgang seit Mitte der sechziger Jahre. Schließlich wird der Wandel auch an der Zunahme nichtfamilialer Haushalte fest gemacht (dazu werden kinderlose Ehepaare, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Wohngemeinschaften und Einpersonenhaushalte gezählt).

Das traditionelle Familienmodell dominiert nach wie vor. Aber in der Literatur wird seit Mitte der 80er Jahre konstatiert, dass ehemals alternative Lebensformen von Erwachsenen mit Kindern zahlenmäßig zunehmen und für die sozialen Akteure immer selbstverständlicher werden. Lebensformen, die früher als Abweichungen von der „Normalfamilie“ oder defizitäre Gebilde galten, gelten heute als familial. Die Rede ist von: „Ein-Elternteil-Familien“ (Napp-Peters 1985), „Zweitfamilien“ (Giesecke 1987), „Ein-Kind-Familien“ (Huinink 1989), „Patchworkfamilien“ (Bernstein 1990), „Fortsetzungsfamilien“ (Ley/Barer 1992), „geteilten Familien“ (Furstenberg 1993) und „postfamilialen Familien“ (Beck-Gernsheim 1994). Diejenigen, die darum bemüht sind, die neuen Lebensformen nicht an dem klassischen Familienmodell zu messen, verwenden neuerdings den Begriff der Familienkonstellation (vgl. König 1996). Mit diesem Begriff wird weniger auf die Personen abgehoben, als auf die intimen Sozialbeziehung, die Menschen unterschiedlichen Alters versuchen herzustellen.

Seit den 90er Jahren rückt ein weiterer Aspekt in den Fokus der Aufmerksamkeit. Neben der Beschreibung und Erforschung neuer Familienformen wird nun vor allem auf die Veränderung der Bedeutung von Familie für die sozialen Akteure hingewiesen. Normative Vorstellungen über Geschlechter, Geschlechterverhältnis, Partnerschaft, Ehe und Familie ändern sich. Betont wird in diesem Kontext nicht so sehr die Zahl der verschiedenen familialen Lebensformen, sondern die Bedeutung, die diese intimen Sozialbeziehungen für die Individuen haben und welche Akzeptanz sie in der Gesellschaft erfahren.

Während unter SoziologInnen Einigkeit darüber zu bestehen scheint, dass sich familiale Lebensformen und die Bedeutung der Familie (im Lebenslauf der Menschen) verändern, wird das Ausmaß und die gesellschaftliche Bedeutung dieses Wandels sehr unterschiedlich eingeschätzt. Teilweise wird in der „scientific community“ sogar recht heftig um die Frage gestritten, wie tiefgreifend oder langfristig der Wandel ist (vgl. Tyrell 1998, Beck-Gernsheim 1998, Nave-Herz 1997b, Vaskovics 1997). Manche gehen davon aus, dass sich gegenwärtig eine strukturelle Veränderung der traditionellen Familie vollzieht (vor allem des patriarchalen Geschlechterverhältnisses und des Generationenverhältnisses). Andere beschreiben die Veränderungen nur als graduell, weil sie nur innerhalb einzelner gesellschaftlicher Schichten stattfinden (zum Beispiel Burkart 1997).

Das heißt, die beobachtbaren Veränderungen veranlassen SoziologInnen nicht nur zu empirischen Untersuchungen, sondern auch zu Bewertungen des beobachteten Geschehens und zu Prognosen bezüglich der Zukunft. „Kulturpessimisten“, die eine Krise und die Auflösung der Familie heraufziehen sehen und einen epochalen Bruch visionieren, konkurrieren mit „Modernisten“, die in dem Wandel der Familie einen Aspekt einer allgemeinen Entwicklung sehen, und „Utopisten“, die einen grundlegenden Wandel einer zentralen gesellschaftlichen Institution erhoffen (vgl. Vaskovics 1994). Eine vergleichende Lektüre familiensoziologischer Arbeiten kommt mit anderen Worten nicht umhin zu bemerken, dass ein und dasselbe gesellschaftliche Phänomen von SoziologInnen auf völlig unterschiedliche Art und Weise interpretiert wird. Amtliche Statistiken drücken zwar merkliche und unrevidierbare Veränderungen aus, aber es bleibt Sache der SoziologInnen, sie auf die eine oder andere Weise zu interpretieren.

Klar ist jedoch, dass die Familie als zentrale Institution der Gesellschaft gilt und dass das, was in, mit und um die Familie herum geschieht, als von immenser Bedeutung für die weitere gesellschaftliche Entwicklung eingeschätzt wird. Dies hat zur Folge, dass die wissenschaftliche Debatte – mehr als das bei manch anderem Thema der Fall ist – nicht nur für sich genommen gesellschaftspolitisch aufgeladen ist, sondern überhaupt stark beeinflußt ist von den politischen und medialen Diskussionen über den Zustand der Familie. Natürlich wirkt sich die Forschung auch ihrerseits auf diese Debatten aus (so macht es eben einen Unterschied, ob ein und dasselbe Phänomen als Krise oder als Wandel behauptet wird). Zugleich wird deutlich, dass alle drei wiederum Einfluß haben darauf, was und wie das Phänomen der Familie allgemein in der Gesellschaft wahrgenommen und diskutiert wird. Diesen komplexen Wechselbeziehungen – obwohl dies interessant wäre – kann jedoch in dieser Studie nicht weiter nachgegangen werden. Allerdings ist ein kurzer Blick auf die aktuelle Diskussion in den Medien unabdingbar, gleichsam als Rahmen, um die soziologische Debatte um die Familie besser einschätzen zu können. Darum wird als erstes ein kurzer Einblick in die mediale Diskussion gegeben werden.

Projektteam:

Andrea Maihofer
Tomke König

Förderung:

i.A. Hans-Böckler Stiftung

Laufzeit
2001