Ausgangslage

Wie aktuelle Forschungsergebnisse eindrücklich belegen, münden die Ausbildungsverläufe einer grossen Mehrheit der Schweizer Jugendlichen in geschlechtstypische Berufe ein. Die horizontale Geschlechtersegregation in der Erwerbswelt ist in der Schweiz deutlich stärker ausgeprägt als in anderen Ländern. Dieser Umstand ist mitverantwortlich für das Fortbestehen zahlreicher Geschlechterungleichheiten. So zeichnen sich Berufe mit hohen Frauenanteilen durch vergleichsweise tiefere Löhne, geringere (finanzielle) Aufstiegsmöglichkeiten und schlechtere Arbeitsbedingungen aus. In Berufen mit hohen Männeranteilen hingegen sind Erwerbsunterbrüche oder reduzierte Erwerbspensen oft nur schwer realisierbar. Durch die einseitige Fokussierung auf Berufe, die gesellschaftlichen Rollenstereotypen entsprechen, können Frauen und Männer ihre Talente und Begabungen nur eingeschränkt ausschöpfen. Der Schweiz geht damit ein grosses Potential an Kompetenzen und Fähigkeiten verloren. Zudem trägt die markante Segregation der Berufswelt zu einer Verschärfung des Fachkräftemangels in etlichen technischen und sozialen Berufen bei.

Forschungsfrage

Die Geschlechtsspezifik der Ausbildungs- und Berufsverläufe wird durch eine komplexe Verschränkung zahlreicher Mechanismen aufrechterhalten: Vergeschlechtlicht ausgestaltete Institutionen, fortbestehende traditionelle Geschlechternormen (insbesondere bezüglich Familie und Beruf) und subjektive Abwägungsprozesse greifen ineinander und verstärken sich gegenseitig. Wie die Ergebnisse aus unseren eigenen, soeben abgeschlossenen Forschungen im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 60 zeigen, bilden die Vorstellungen von einer zukünftigen Familie – und zwar sowohl bei jungen Frauen als auch bei jungen Männern – einen Schlüsselmechanismus in der Erklärung der Geschlechtsspezifik ihrer Erwerbsverläufe. Sie fliessen bereits zu einem Zeitpunkt in die Berufsfindung ein, an dem sich die Frage nach einer konkreten Familiengründung für viele noch gar nicht stellt. Zugleich verschränken sich die Familienvorstellungen mit den jeweiligen Vorstellungen von der zukünftigen Berufstätigkeit in verschiedenen Berufen. Genau zu dieser engen Verwobenheit familialer und beruflicher Zukunftsvorstellungen bei jungen Frauen und Männern gibt es jedoch bislang für die Schweiz keine detaillierte Forschung. Wir gehen jedoch davon aus, dass dieses Wechselverhältnis einen zentralen Einfluss auf das Fortbestehen der Geschlechtersegregation hat. Das geplante Projekt soll daher hier anschliessen und beleuchten, inwiefern die jeweiligen Vorstellungen von den künftigen Familienaufgaben und der weiteren Berufstätigkeit sich wechselseitig beeinflussen.

Material und Methode

Hierzu führen wir 60 problemzentrierte Interviews mit Frauen und Männern im Alter von rund 30 Jahren in geschlechtstypischen, -neutralen und -untypischen Berufen. Die Stichprobe können wir aus der längsschnittlichen TREE-Studie gewinnen. Diese Sampleziehung hat sich bereits in unserem letzten Forschungsprojekt als sehr produktiv erwiesen. Es soll rekonstruiert werden, was für ein Selbstverständnis die jungen Erwachsenen nach einigen Jahren in ihren jeweiligen Berufsfeldern haben, und welche spezifischen Anforderungen bezüglich Arbeitszeiten, Lohn, räumlicher und zeitlicher Flexibilität sie wahrnehmen. Welche Bedeutung hat ihr Beruf für sie und inwiefern spielen Familienpläne dabei eine Rolle? Wie sehen ihre Vorstellungen von einer künftigen Familie aus und wie nehmen sie die gegenwärtigen Rahmenbedingungen für Familien bezüglich Elternzeit, Kinderbetreuungsinfrastruktur, Schulorganisation wahr? Welche Zuständigkeiten sehen sie für sich als Vater oder Mutter und welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten antizipieren sie damit beruflich?

Ziel

Anliegen der Studie ist es, ein besseres Verständnis von der starken beruflichen Geschlechtersegregation in der Schweiz zu gewinnen. Sie soll mögliche Massnahmen identifizieren, mit welchen der Verbleib in Berufen mit ausgeprägter Geschlechtersegregation für beide Geschlechter erleichtert werden kann und so Wege zu mehr Diversität aufzeigen. Angesichts des akuten Fachkräftemangels in zukunftsträchtigen Berufen wie der Pflege und dem Ingenieurwesen wird das Projekt damit zur Lösung eines immer dringlicher werdenden gesellschaftlichen Problems beitragen.

Kontakt

Andrea Maihofer
Sandra Hupka
Karin Schwiter
Diana Baumgarten
Nina Wehner

Publikationen