Eine empirische Untersuchung von Männlichkeiten und rechter Agitation im Netz in der Bundesrepublik Deutschland

Im Zuge der digitalen Transformation werden rechte Narrative insbesondere im Netz und damit technisch vermittelt, re/produziert. Dabei spielt Geschlecht in zweierlei Hinsicht eine zentrale Rolle: Zum einen bilden anti-genderistische Positionen ein konstitutives Element rechter Narrative; zum anderen sind die an der Re/Produktion rechter Narrative beteiligten Akteur*innen in überwiegender Zahl Personen, die sich als Männer identifizieren. Vor diesem Hintergrund leistet die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur kritischen Männlichkeitsforschung als auch zum gesellschaftstheoretischen Verständnis technisch vermittelter Agitation von rechts in der Bundesrepublik Deutschland. Analytisch baut die Arbeit auf der Verbindung dreier Forschungsstränge auf: der feministischen Wissenschafts- und Technikforschung, der Kritischen Männlichkeitsforschung und der Forschung zu rechten Bewegungen. Die empirische Basis der Arbeit bilden 11 Expert*innen- und 29 leitfadengestützte Tiefeninterviews mit deutschen Staatsbürgern, die sich als Männer identifizieren und die im Netz rechte Narrative reproduzierten ohne sich dabei als Teil einer rechten Bewegung zu sehen.

Um dem komplexen und heterogenen Phänomenbereich der technisch vermittelten Agitation von rechts zugänglich für eine Untersuchung zu machen wurden drei, aufeinander aufbauende, Fragestellungen behandelt:

(1) wie funktionieren und wirken diese Formen technisch vermittelter Agitation bei Personen, die sich als Männer identifizieren?  Auf Basis von 29 Tiefeninterviews und 11 Expert*inneninterviews mit wird dazu in der Untersuchung dargelegt, was diese Personen eigentlich genau tun, wenn sie rechte Narrative im Netz (re-)produzieren und wie sie sich dieser rechten Narrative bedienen, bzw. wie diese rechten Narrative aufgenommen und ‚verarbeitet‘ werden. Mit der Beantwortung dieser Fragen wird auch Auskunft über die Entstehungsbedingungen der Heterogenität des Phänomenbereiches sowie die Rolle von Technik gegeben. Dieser Untersuchungsabschnitt kommt zu dem Ergebnis, dass die Befragten inhaltlich sehr heterogene Versatzstücke rechter Agitation mit eigenen Erfahrungen mischen ohne, dass hier ein ideologisch kohärentes Weltbild entsteht. Es handelt sich, so die These der Arbeit, vielmehr um ein Mosaik, aus unterschiedlichen (rechten) Narrativen und idiosynkratischen Erfahrungen.  Die rechte Agitation im Netz erfordert eben nicht mehr die Zugehörigkeit und Loyalität zu einem geschlossen ‚kohärenten‘ Weltbild, dafür muss man aber eben auch selber für die ‚Klebemasse‘ sorgen, die das Mosaik zusammenhält. Der Modus, in dem dieses Mosaik fabriziert wird ist dabei ein partizipativer (bspw. durch das Reposten von Artikeln etc.) und damit eben kein ‚top-down‘ Prozess, sondern eher ein ‚Bottom-up‘ Prozess. Dieses Mosaik bildet dann den Welterschließungsmodus durch den hindurch wird die Soziale Welt wahrgenommen und auf dessen Basis in die Welt hineingewirkt wird (bspw. via Posts, Tweets etc.). Das Mosaik ist damit ein selbst geschaffener technisch vermittelter Zugriff auf die Welt. Dies steigert auch die Identifikation mit diesem selbst erarbeiteten Mosaik (der eigenen singulären Weltsicht). Dabei finden permanente Anpassungen und Veränderungen dieses Mosaiks statt.

(2) Ausgehend von der Erforschung der Funktion und Wirkung rechter Agitation können dann die Bedingungen für die Erreichbarkeit dieser Agitation auf der Ebene des Subjekts untersucht werden.  Dazu nimmt sich die Arbeit einer Rekonstruktion der Subjektposition dieser sich als Männer identifizierenden Personen an, die über die Selbst- und Weltwahrnehmung sowie die daraus resultierenden Denk- und Verhaltensweisen (vgl. Bolte 1983) Auskunft geben. Das durch den technisch vermittelten Zugriff auf die soziale Welt selbst geschaffene Mosaik ermöglicht ein Realitätsbezug der sich als ‚Hyperrealität‘ charakterisieren lässt. Er steht gewissermaßen ‚über‘ der Realität und folgt nicht der Notwendigkeit ein widerspruchsfreies Weltbild zu produzieren, was sich besonders in der Verschmelzung von der Inszenierung einer eigenen dissidenten Haltung bei gleichzeitiger Identifikation mit der Normalität (genauer: mit subjektiven Normalitätsvorstellungen) zeigt. Was die Befragten für sich einfordern lässt als eine Sehnsucht nach einem machtgestützten männlichem Entitlement charakterisieren. Ein männliche Anspruchsberechtigung die also von staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen abgestützt ist.

 (3) Im Zuge der dritten Frage, der Arbeit werden die gesellschaftstheoretischen Implikationen sowie die gesellschaftlichen Voraussetzungen für diese spezifische Erreichbarkeit von Männern untersucht. Die Ergebnisse dieser Studie implizieren auf der gesellschaftstheoretischen Ebene einen weiteren Modus des Autoritarismus für das digitale Zeitalter nämlich einen fragmentarischen Autoritarismus. Der wesentlich zu einer Selbstermächtigung (Amlinger/Nachtwey 2022: 17) der eigenen männlichen Subjektposition dient. Charakteristisch für diesen Modus des Autoritarismus ist u.a., dass politische Konflikte (z.B. liberal vs. konservativ) zugunsten von Entgegensetzungen wie Wahrheit versus Lüge (etc.) negiert werden. Politische Konflikte und damit auch Aushandlungsnotwendigkeiten werden so überführt in Dualismen wie ‚Wahrheit‘ und ‚Lüge‘ oder ‚Rational‘ und ‚Irrational‘. So gelingt es politische komplexe Themen in binäre Differenzkategorien von richtig und falsch bzw. gut und schlecht zu überführen. Als Voraussetzungen für das Entstehen dieses weiteren Modus des Autoritarismus analysiert die Studie sozio-ökonomische Entwicklungen (Nachtwey 2016, Ging 2019 Amlinger/Nachtwey 2022) deren ineinandergreifen mit bestimmten vergeschlechtlichten Anspruchsberechtigungen (Horkheimer 1936, Kimmel 2009, 2013), genau diese Voraussetzungen für ein Erstarken rechter Narrative schaffen.

Promovierender
David Meier-Arendt