Bericht zum Symposium

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Geschlechterforschung als kritische Wissenschaft in autoritär-populistischen Zeiten

Am 13. Und 14. Mai 2022 fand das Symposium anlässlich der Emeritierung von Prof. Dr. em. Andrea Maihofer an der Universität Basel statt. Um die 150 Personen reisten aus nah und fern an, um die einflussreichen intellektuellen Beiträge und das enorme hochschulpolitische Engagement von Prof. Dr. em. Andrea Maihofer zu würdigen. Dies geschah in einer erinnernden sowie zukunftsorientierten Form, indem die Bedeutung der «Geschlechterforschung als kritische Wissenschaft in autoritär-populistischen Zeiten» in verschiedenen Vorträgen, auf einem Podium, im Plenum und Pausen diskutiert wurde. 

Susanne Baer betont in ihrer Keynote «Was alle angeht. Zur Bedeutung von Gleichheit in der Demokratie» die Gefahr, dass demokratische Werte wie Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit von autoritär-populistischer Seite umgedeutet und angeeignet werden und plädiert eindringlich darauf, dass wir diese Trias gemeinsam denken und im emanzipatorischen Sinn weiter entwickeln. Dies müsse – im Anschluss an die wissenschaftliche Praxis Andrea Maihofer – freundlich aber bestimmt, beherzt und beharrlich geschehen, in der Bereitschaft mit allen zu sprechen, mit dem Ziel darin Diskurse zu verschieben. 

In ihrem Kommentar erweitert Michelle Cottier diese Überlegungen bezogen auf einige Spezifika der Schweiz und formuliert einige Missstände bezogen auf das Zivilgesetzbuch, das Familienrecht und das Migrationsrecht, welche einer völkerrechtlichen Überprüfung entzogen und nicht auf die Menschenrechte bezogen werden. 

Andrea Maihofer geht in ihrer Keynote «Aktuelle Herausforderungen für die Geschlechterforschung: Zur Notwendigkeit kritischer Wissenschaft» auf die Gefahr ein, wie Meinungen und Fake News Wissenschaft delegitimieren und gegen Wissen und Erfahrung abdichten können. Demgegenüber entwickelt sie ein Verständnis von Wissenschaft als notwendigerweise kritisch, basierend auf Wissen, dass seine Situierung in gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse reflektiert. Infragestellung emanzipatorischer kritischer Wissenschaft geschieht derzeit beispielsweise aus antigenderistischer aber auch aus bestimmten innerfeministischen Kreisen, die nur gegen manche Formen der Diskriminierung vorgehen möchten, aber beispielsweise die Lebensrealitäten, Bedürfnisse und Rechte von trans Personen nicht anerkennen. Demgegenüber plädiert sie dafür, jedes Leiden als relevant zu betrachten und anzustreben alle Formen von Diskriminierung zu überwinden.

Tomke König betont in ihrem Kommentar die Bedeutung vom «intellektuellen Zuhause» und dass neben der Selbstkritik auch die Selbstvergewisserung notwendig für die kritische wissenschaftliche Arbeit in der Geschlechterforschung ist. Das Studium sollte einen Ort bieten, um die kritische Reflexion einüben zu können und Wissenschaft sollte Teil gesamtgesellschaftlicher Aufklärung und Emanzipation sein. 

Gabriele Dietze geht in ihrem Vortrag «Politische Affekte. Ein Versuch über Ethisches Begehren» der Frage nach, wie eine emphatische Ethik aussehen kann und knüpft an Überlegungen in der Geschlechterforschung an, um utopische Perspektiven zu eröffnen. Dabei geht sie affekttheoretisch auf Gefühle der Ungerechtigkeit ein, auf zukunft-gerichtetes Begehren, die mehr sind als eine abstrakte Vision und auf Widerstand, der enttäuscht werden, aber auch viel bewegen kann.

Demgegenüber beschäftigte sich Birgit Sauer in ihrem Vortrag «Autoritär und erzliberal? Geschlecht und Demokratie in den Narrativen der österreichischen und deutschen politischen Rechten» mit der autoritären Rechten und damit, wie Antigenderismus Teil einer antidemokratischen Strategie ist, in der Frauen- und Minderheitenrechte eingeschränkt und eine maskulinistische Politik betrieben wird, in der auch Wut und Zorn rechtmässig sind, wenn sie beispielsweise gegen Einwander:innen eingesetzt werden. 

Isabell Lorey führt in ihrem Vortrag «Autoritärer Populismus und präsentische Demokratie» aus, warum radikale Kritik am autoritären Populismus eine Identitätskritik, Kritik an Nationalismus und Neoliberalismus erfordert, um Sorgebeziehungen in einer präsentischen Demokratie leben zu können. Im Versuch, die mit Identität und Subjektivität verbundenen Formen von Gewalt und Entfremdung nicht zu reproduzieren, fragt sie, wie wir ohne Identitätsbindung anders werden und uns entsubjektivieren können. 

Insgesamt verbinden sich in den Themen des Symposiums zu «Geschlechterforschung als kritische Wissenschaft in autoritär-populistischen Zeiten» zwei Fragen, die das Arbeiten von Andrea stark prägen. 

Einerseits die nach der Zeitdiagnose – und unsere Zeiten sind von autoritär-populistischen Entwicklungen geprägt. In Kürze: Autoritär meint eine herrschaftspositive Struktur und das Bedürfnis, die eigene Wahrheit und Perspektive als absolute zu setzen. Damit wird Dialog und Kompromiss gesellschaftlich zunehmend schwierig. Populistisch als Art und Weise, diese Setzung als Ausdruck eines Gedanken zu sehen, der alle vereint und gegen ein äusseres Anderes gesetzt und verteidigt werden muss. 

Neben der Zeitdiagnose stellt sich andererseits immer wieder die Frage der Kritik, der Bedeutung kritischer Wissenschaft und spezifisch der Geschlechterforschung als kritischer Wissenschaft. Kritik ist laut Foucault nichts Abstraktes, sondern sie existiert «nur im Verhältnis zu etwas anderem als sie selbst». Sie ist in dem Sinn an ihre Gegenwart, ihre Zeit, ihren Kontext gebunden, sie ist immer situiert, individuell und gesellschaftlich. Somit steht Kritik auch nie ausserhalb, sondern ist Teil der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie formuliert wird. Kritik gestaltet die Verhältnisse mit, ob bewusst oder unbewusst. Sie ist eine Bewegung der kritischen Selbstbefragung, was unsere Zeit ausmacht, und wer wir darin sind, und immer auch, wie wir und diese Welt anders sein könnten. Kritik ist in diesem Sinne die «verändernde Erprobung seiner selbst», wie es Foucault schreibt, und damit mehr als das Andere im Herrschenden. Sie ist vielmehr die kritische Erkenntnis und Transformation der herrschenden Logik selbst. Dazu braucht es immer auch Selbstkritik: «die Arbeit entlang unsere Grenzen, das heisst eine geduldige Arbeit, die der Ungeduld der Freiheit Gestalt gibt».

Dabei orientiert sich Kritik bei Andrea Maihofer an normativen Zielen, wie es etwa bei Foucault heisst «innerhalb der Machtspiele mit dem Minimum an Herrschaft zu spielen». Oder wie es Andrea gerne mit Bezug auf Adorno formuliert: «ohne Angst verschieden sein können». Und natürlich geht es mit Marx darum, «alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist» und für Verhältnisse einzustehen, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist».

Kritik ist somit in diesem gesellschaftstheoretischen Verständnis nie abstrakt, sondern immer historisch und gesellschaftlich situiert. Zeitdiagnostisch sind wir mit verschiedenen Prozessen der Polarisierung um Geschlechterverhältnisse konfrontiert. Die Geschlechterforschung ist darin sowohl Teil als auch Akteurin. Ziel des Symposiums war es, alle dazu anzuregen herauszufinden, welchen emanzipatorischen Beitrag die Geschlechterforschung in den aktuellen Herausforderungen als kritische Wissenschaft leisten kann.  

Nach den inhaltlichen Diskussionen wurde im SUD mit "Les Reines Prochaines" und Musik noch ausgiebig gelacht und getanzt.

Bericht von Anika Thym